Es war einmal ein französisches Schloss, ein bisschen verfallen, ein bisschen verwunschen – und ziemlich verlassen. Lost Places wie dieser neigen dazu, langsam im Nebel der Geschichte zu verschwinden. Doch nicht, wenn zwei Österreicherinnen sich verlieben. In einen Ort. In ein Abenteuer. Und in eine Menge Arbeit.
Elisabeth Herring, Architektin, und ihre Tochter Valerie, frischgebackene Politikwissenschaftlerin, entdeckten 2017 das Château de Freschines – ein 400 Jahre alter, leicht morbider Prachtbau zwei Stunden südlich von Paris. Liebe auf den ersten Blick? Definitiv. Ahnung, worauf sie sich einlassen? Null.
Trotz eines horrenden Kaufpreises, amerikanischer Konkurrenz und eines Haufens an Bürokratie sicherten sich die beiden Frauen mit Hilfe eines Freundes aus der Region Sologne tatsächlich die Schlüssel zum Schloss. Damit begann ihr ganz persönliches Märchen mit Schutt, Staub – und einer Vergangenheit, die es in sich hat.
Von Chemikern, Kriegshelden und Klinikalltag
Früher gehörte das Schloss dem Chemiker Antoine-Laurent de Lavoisier, einem der Väter der modernen Chemie, der hier mit seiner ebenfalls wissenschaftlich begabten Frau experimentierte – bis zur Französischen Revolution, als ihm leider die Guillotine drohte. Danach ging das Anwesen durch die Hände von Kriegshelden, Adligen und schließlich an die Kirche. In den 1970ern zog eine psychiatrische Klinik ein – was natürlich jedes gute Lost Place-Klischee perfekt bedient – und 2013 schloss auch diese ihre Pforten.
Zurück blieb ein großes Haus mit kaputten Fenstern, knarrenden Dielen und jede Menge Geschichte(n) in den Wänden. Genau richtig für mutige Frauen mit einer Vision.
Vom Lost Place zum Gästehaus mit Charme
Seit 2019 bauen Elisabeth und Valerie ihr Château mit viel Eigeninitiative, lokalen Handwerkern und freiwilligen Helfern Stück für Stück wieder auf. Rund 30 Räume wollen eingerichtet, Leitungen ersetzt und alte Kamine freigelegt werden. Die Möbel stammen größtenteils von Brocantes – französischen Flohmärkten – und geben dem Ganzen einen charmanten, leicht chaotischen Stil.
Und das Beste: Man kann mitmachen! Nicht mit Hammer und Pinsel (außer man will), sondern als Gast. Denn die beiden Frauen haben ihr Schloss kurzerhand zum Bed & Breakfast erklärt. Wer also Lust hat, in einem echten Lost Place zu nächtigen, bekommt für etwa 150 Dollar pro Nacht ein Zimmer – oder für knapp 1.000 Dollar gleich das ganze Schloss. Ein lokaler Koch namens Uli serviert auf Wunsch auch das Abendessen.
Zwischen Geheimtüren und Frühstückskorb
Natürlich darf man hier keinen Wellness-Tempel erwarten. Warmes Wasser ist eher Glückssache, die Heizung noch nicht überall optimal. Aber was fehlt, wird durch Atmosphäre wettgemacht: schwere Decken, antike Möbel, ein liebevoll gedeckter Frühstückstisch und Gastgeberinnen, die mit Herzblut bei der Sache sind.
Wer etwas Entdeckergeist mitbringt, kann sich auf versteckte Kamine, geheime Gänge im Garten und spektakuläre Sonnenaufgänge über alten Baumkronen freuen. Das ist Lost Places-Feeling deluxe – zum Anfassen, zum Mitmachen, zum Staunen.
Château de Freschines ist kein Hotel im klassischen Sinne. Es ist ein Kapitel in einem laufenden Roman. Wer hier übernachtet, erlebt Geschichte live und begleitet zwei Frauen dabei, wie sie einen echten Lost Place wieder zum Leben erwecken. Und vielleicht entdeckt man ja ganz nebenbei auch ein bisschen den eigenen Entdeckergeist.