Stell dir vor: In den goldenen Hügeln Südkaliforniens, während die Sonne dramatisch über den Horizont wandert wie ein Westernheld im letzten Akt, tanzen barfüßige Menschen im Gegenlicht. Nein, das ist kein Film – das war (und ist noch) der Alltag der „Brotherhood of the Sun“, einer der erfolgreichsten Kommunen der amerikanischen Geschichte. Und das Erstaunliche: Es gibt sie immer noch.
Was als spirituelle Rettungsmission begann, entwickelte sich zu einem Millionenunternehmen mit Bio-Gemüse, Yoga-Kursen – und, etwas überraschend, militärischen Gewehren. Willkommen bei Sunburst, einer Kommune, die den Kapitalismus nicht bekämpfte, sondern elegant umarmte. Vielleicht mit einem Om.
Von der Psychiatrie zur Permakultur
Die Geschichte beginnt 1963 an einem eher unglamourösen Ort: in einer psychiatrischen Klinik in Santa Barbara. Dort ringt Norman Paulsen, ein ehemaliger Maurer, mit inneren Stimmen – und mit Medikamenten. Sechs Jahre später deutet er diese Stimmen als spirituellen Weckruf und gründet einen Rückzugsort für alle, denen der „American Dream“ eher wie ein Schlafentzug vorkam.
Mit Meditation, Kriya Yoga und einer Dosis Yogananda gründet er Sunburst, ein alternatives Lebensmodell für junge Idealisten. 1971 ziehen hunderte Anhänger auf eine Ranch, bauen Tipis und Lehmhäuser, pflanzen Obstbäume, züchten Ziegen und Percheron-Pferde – letztere vermutlich wegen der dramatischen Silhouetten bei Sonnenuntergang.
Keine Drogen, kein Sex (außer verheiratet) – aber jede Menge Granola
Die Regeln waren streng: keine Drogen, keine äußeren Besitztümer und kein Sex außerhalb der Ehe. Dafür gab’s biologisch angebautes Gemüse, morgendliche Erd-Danksagungen im Kreis, und eine Ausbildung in allem von Imkerei bis Webkunst. Die Produkte – frischer Saft, Avocados für 25 Cent – fanden reißenden Absatz. Die Bioläden der Kommune galten als charmant chaotisch, aber sauber.
Mitten im Öko-Boom der 70er mutierte Sunburst zum Wirtschaftswunder: 3 Millionen Dollar Jahresumsatz, 3.000 Hektar Land (neben Ronald Reagan!), Kochbücher, ein Café namens The Farmer and the Fisherman – und eine ganze Generation, die lernte, wie man Protein bekommt, ohne Tiere zu verspeisen.

Hinter der Blumenkulisse: Waffenlager und Weltuntergangspläne
Aber wie jede gute Hippie-Erfolgsgeschichte hat auch diese ihre Schattenseiten. In den späten 70ern entdeckt die Polizei ein Waffenlager der Sunburst-Gemeinde – inklusive M-14-Gewehren und belgischen Sturmgewehren. Die offizielle Erklärung: Schutz gegen Eindringlinge. Inoffiziell: Vorbereitungen auf die Apokalypse. Man weiß ja nie.
Hinzu kamen Spannungen innerhalb der Gemeinschaft. Der charismatische Paulsen – inzwischen etwas zu begeistert vom Alkohol – ließ sich in einem Moment der Eingebung angeblich mit den Worten zitieren: „Ich bin der Mann, den man Jesus von Nazareth nennt. Wenn ihr das glaubt, bleibt. Wenn nicht: geht.“
Einige gingen.
Das stille Überleben – zwischen Yoga und Fossilien
Trotz aller Turbulenzen überlebte Sunburst. Heute lebt eine kleine Gruppe von etwa 30 „Oldtimern“ auf einem idyllischen Fleckchen Land nahe Lompoc, Kalifornien. Dort führen sie das Sunburst Sanctuary, mit Meditationskursen, Yoga-Retreats und sogar paläontologischen Wanderungen – weil, warum nicht?

Der spirituelle Fokus ist geblieben, ebenso die Ablehnung des schnellen Fortschritts. Neue Mitglieder sind willkommen, aber der Bau neuer Gebäude ist durch ihre religiös-landwirtschaftliche Sonderstellung kompliziert. Die letzte Bioladen-Filiale in Solvang wirkt fast wie ein Museum – oder ein trotziges Überbleibsel einer Zeit, die nicht sterben will.