Der Strandkorb – Die deutsche Antwort auf schlechtes Wetter

Strandkorb
Beach chair

Wenn man an die deutsche Küste denkt, erscheinen unweigerlich Bilder von windgepeitschten Dünen, kreischenden Möwen, krabbenfischenden Nordseepiraten – und: der Strandkorb. Diese kuriosen, halboffenen Sitzkäfige aus Holz und Korbgeflecht sind aus dem kollektiven Urlaubsbewusstsein der Deutschen nicht wegzudenken. Sie sind so deutsch wie der Pfandbon, der Sonntagsbraten oder die Parkplatzsuche mit Anstand. Doch wie kam es eigentlich zu dieser ikonischen Erfindung, die gleichermaßen Schutzraum, Sitzgelegenheit und Statussymbol ist?

Ein Korb für die feine Dame – die Geburt des Strandkorbs

Die Geschichte des Strandkorbs beginnt, wie so viele großartige Geschichten, mit einem gesundheitlichen Problem und einer kreativen Lösung. Wir schreiben das Jahr 1882. Die feine Dame Elfriede von Maltzahn leidet – wie es sich für eine Dame ihres Standes gehört – an Rheuma. Und Rheuma, das weiß jeder, verträgt sich schlecht mit Wind und Wetter, besonders an der rauen Ostseeküste.

Da Elfriede aber keineswegs auf ihren Aufenthalt im damals mondänen Ostseebad Warnemünde verzichten will, sucht sie nach einer Lösung. Sie wendet sich an Wilhelm Bartelmann, seines Zeichens Hof-Korbmacher in Rostock. Der gute Bartelmann bekommt also den Auftrag, etwas zu bauen, in dem man am Strand sitzen kann, ohne sich dem vollen Naturprogramm auszusetzen: Wind, Sand, neugierige Blicke.

Heraus kommt ein seltsames Möbelstück: hoch, aus Weide geflochten, mit einer Art Dach und Seitenteilen, das einem riesigen Wäschekorb mit Rückenlehne ähnelt. Es hat ein bisschen was von einem mobilen Beichtstuhl – aber mit Aussicht.

Vom Einzelstück zum Serienmodell

Der Prototyp – heute würde man ihn wahrscheinlich als „Strandmodul mit ergonomischem Windschutz“ bezeichnen – kam gut an. So gut, dass Bartelmann bald weitere Exemplare baute und 1883 die erste Strandkorbvermietung eröffnete – ein Geschäftsmodell, das bis heute floriert. Während sich andere also noch mit dem Verkauf von Seebädern und Soletrinkkuren beschäftigten, hatte Bartelmann den Zeitgeist getroffen: Sitzen am Strand, aber bitte geschützt und bequem.

In den Folgejahren entwickelte sich der Strandkorb weiter – aus dem Ein-Personen-Sessel wurde ein Zweisitzer mit beweglichem Oberteil, Fußstützen und einer praktischen Klapptischchen-Ausstattung. Sozusagen die Strand-Lounge des Wilhelminismus.

Nordsee vs. Ostsee: Der stille Krieg der Korbformen

Wie so oft in der deutschen Geschichte, konnte man sich auch beim Strandkorb nicht auf eine einheitliche Form einigen. Und so entstanden zwei Haupttypen:

  • Der Ostsee-Strandkorb: Rundlicher, verschnörkelter, weicher in der Form. Ein bisschen verspielt, ein bisschen charmant – quasi der Jugendstil unter den Strandkörben.

  • Der Nordsee-Strandkorb: Kantig, robust, eher funktional. Hier merkt man: Die Nordsee ist kein Ort für Schnickschnack. Der Korb hat zu funktionieren – basta.

Noch heute kann man an der Form des Strandkorbs erkennen, an welcher Küste man sich befindet. Ein winziger, aber feiner Unterschied – vergleichbar mit der Frage, ob man “Moin” oder “Moin Moin” sagt.

Zwischen Luxusobjekt und Massenmöbel

In den 1920er und 30er Jahren wurde der Strandkorb zum echten Volksmöbel. Kein Strand ohne Korb! Ob Arbeiterfamilie oder Industriellen-Gattin, der Strandkorb wurde zum Symbol des demokratisierten Badeurlaubs. Während man anderswo noch auf Handtüchern im Sand lag und mit Sonnenstich kämpfte, genoss der deutsche Urlauber bereits seinen Kaffee aus der Thermoskanne, windgeschützt und mit hochgelegten Beinen.

Ein Strandkorb
Strandkorb

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Siegeszug der Strandkörbe erst recht ein. Sie passten perfekt zum wirtschaftlichen Aufschwung und zum neuen Bedürfnis nach Ordnung, Sauberkeit und komfortabler Erholung. Der Strandkorb wurde weiterentwickelt: Klappmechanismen, integrierte Getränkehalter, ausziehbare Fußstützen und dicke Polsterstoffe hielten Einzug. Ein bisschen wirkte er nun wie ein Fernseh-Sessel mit Meerblick – aber das war genau das, was man wollte.

Strandkorb international? Naja.

Man muss es sagen: Der Strandkorb ist eine zutiefst deutsche Erfindung. Zwar wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder Versuche unternommen, ihn auch international zu vermarkten – aber seien wir ehrlich: Der französische Riviera-Urlauber bevorzugt die Liege mit Aperol Spritz, der Amerikaner hat es eher mit dem Liegestuhl, und der Brite bringt ohnehin seinen Regenschirm mit. Der Strandkorb bleibt ein Produkt für Menschen mit einem tiefen Verständnis für wechselhaftes Wetter, körperliche Disziplin beim Einsteigen, und einem Bedürfnis nach Rückzug – also für Deutsche.

Strandkorb heute: Retro trifft Instagram

Und heute? Der Strandkorb erlebt eine kleine Renaissance. In Zeiten von Nachhaltigkeit, Retro-Ästhetik und dem Wunsch nach „authentischem Urlaub“ ist der Strandkorb wieder en vogue. In hippen Ferienanlagen werden Designer-Varianten mit bunten Stoffen und Solarpanelen angeboten. In Berlin stehen sie auf Dachterrassen von Start-ups, in Hamburg vor Craft-Bier-Bars.

Die klassischen Modelle an der Küste tun aber nach wie vor ihren Dienst – oft seit Jahrzehnten, leicht knarzend, mit durchgesessenen Polstern, aber immer noch solide wie eine deutsche Eiche im Meereswind.

Man kann ihn mieten, kaufen, restaurieren oder einfach als Souvenir in Miniaturform mitnehmen. Der Strandkorb ist heute mehr als nur Sitzgelegenheit – er ist Kulturgut. Und ein Symbol dafür, dass man auch unter freiem Himmel ein bisschen Privatsphäre haben darf