Der Aufstieg, Fall und die Wiedergeburt einer Stadt, die Amerika erschuf

Manche Namen sind in unserem Alltag so selbstverständlich geworden, dass wir sie kaum noch wahrnehmen – Apple, Microsoft, Google. Doch es gibt eine andere Kraft, die unser Leben und unsere Städte mindestens ebenso geprägt hat, deren Name heute kaum noch jemand kennt: Bethlehem Steel.

Dieses Unternehmen baute im wahrsten Sinne das Rückgrat Amerikas. Vom Empire State Building über den Hoover Dam bis hin zur Golden Gate Bridge – überall steckt der Stahl aus Bethlehem, Pennsylvania. Selbst die einsame Insel Alcatraz in der Bucht von San Francisco verdankt ihre Mauern diesem Stahlgiganten.

In den 1940er Jahren bestand unglaubliche 80 % der New Yorker Skyline aus Bethlehem-Stahl. Doch das Unvorstellbare geschah: In den 1990er Jahren ging dieser Koloss der Industriegeschichte unter. Die Hochöfen erloschen, die Fabrikgelände verfielen – und mit ihnen zerbrach ein Teil der Stadt Bethlehem selbst.

An einem kalten Wintertag machten wir uns auf, die Ruinen dieser einst stolzen Stadt zu besuchen – und fanden mehr als nur rostendes Metall.

Zwei Städte, zwei Geschichten

Bethlehem liegt etwa zwei Stunden nördlich von Philadelphia, geteilt vom LeHigh River. Auf der Nordseite liegt das malerische Old Bethlehem, gegründet im 18. Jahrhundert von deutschen Moravianern. Am Heiligabend 1741 gab Graf Zinzendorf der Siedlung ihren legendären Namen: Bethlehem.

Hier, wo einst das erste große, geschmückte Weihnachtsbaumzentrum Amerikas stand, weht noch heute der Zauber der Vergangenheit durch die Gassen. Weihnachtsmärkte nach deutschem Vorbild, ein überdimensionaler Adventskalender und eine leuchtende Sternenskulptur auf dem South Mountain erinnern an eine Zeit, in der Hoffnung und Gemeinschaft mehr zählten als Profit.

Spaziert man durch die kopfsteingepflasterten Straßen, entdeckt man das traditionsreiche Hotel Bethlehem und Amerikas älteste Buchhandlung – die Moravian Bookshop, gegründet 1745. Überall flackert warmes Kerzenlicht in den Fenstern, Pferdekutschen klappern über das Pflaster. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Das Herz aus Stahl

Folgt man dem Fluss südwärts, taucht eine andere Welt auf: die gewaltigen Überreste von Bethlehem Steel. Wo einst Flammen und Rauch den Himmel färbten, ragen heute rostende Skelette in die Höhe. Die Stahlwerke bedeckten fünf Meilen Land und erreichten Höhen von über 70 Metern – ein Labyrinth aus Schienen, Hochöfen und Maschinen.

Eine einzige Werkshalle, die Number 2 Machine Shop, war so groß wie fünf Fußballfelder. Diese industrielle Kathedrale nannten die Arbeiter schlicht: The Steel.

Noch heute ist der Anblick ehrfurchtgebietend. Einst brannte hier das Feuer sieben Tage die Woche, begleitet von ohrenbetäubendem Lärm und erstickender Hitze.

Guillermo Lopez, ein ehemaliger Arbeiter, erinnert sich:

„Mein erster Tag war die Hölle. Rauch, Feuer – es war einfach unglaublich. Ich wollte nur noch wegrennen.“

Wie Stahl Amerika baute

Bethlehem Steel begann bescheiden: In den 1860er Jahren stellte das Unternehmen Eisenbahnschienen her. In den 1870er Jahren rüstete es bereits die US-Marine aus. Der große Durchbruch kam mit der Erfindung des Bethlehem Beam – einem innovativen Stahlträger, der die Ära der Wolkenkratzer einläutete.

Die Herzstücke der Anlage waren die gigantischen Hochöfen. Hier verschmolzen Eisenerz, Kohle und Kalkstein zu flüssigem Stahl. Die Flammen waren so hell, dass man sie aus 30 Kilometern Entfernung sehen konnte.

Doch der Preis war hoch: Zwischen 1905 und 1941 verloren 500 Arbeiter ihr Leben, Tausende weitere erlitten schwere Verletzungen.

„Ich wäre fast im Feuer gestorben“, erinnert sich Frank Furry. „Nur mein Kumpel hat mich in letzter Sekunde gepackt.“

Trotz der harten Bedingungen waren die Arbeiter stolz – stolz darauf, das Material für Amerikas größte Bauwerke geschaffen zu haben. Ganze Familien verbrachten ihr Leben im Schatten der Hochöfen: Väter, Söhne, Brüder – Generation für Generation. Die Geschichte der Check-Familie, die gemeinsam 441 Jahre für Bethlehem Steel arbeitete, ist nur eine von vielen.

Krieg und Frieden

Bethlehem Steel war nicht nur Baumeister, sondern auch Kriegsmaschinerie: Im Ersten und Zweiten Weltkrieg produzierte die Firma Millionen von Artilleriegeschossen und ein Drittel der amerikanischen Panzerungen. 1943 baute Bethlehem Steel ein Kriegsschiff pro Tag. Über 25.000 Frauen trugen in den 1940ern in den Fabriken zum Sieg bei.

Historiker Lance Metz schrieb:

„Ohne Bethlehem Steel hätten wir den Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht gewonnen.“

Der Fall eines Giganten

Doch mit den Jahren veränderte sich die Welt. Billiger Importstahl und moderne Produktionsmethoden verdrängten Bethlehem Steel. 1982 schrieb die Firma einen Verlust von 1,5 Milliarden Dollar. Am 18. November 1995 floss der letzte Stahl.

„Als das letzte Stück geschnitten wurde, kamen uns die Tränen“, erinnert sich Arbeiter Dave Schwartz.
„Zum ersten Mal hörten wir den stillen Mill.“

2003 endete die Geschichte endgültig mit der Auflösung des Unternehmens. Zurück blieb eine Stadt voller Narben – ähnlich wie Detroit nach dem Zusammenbruch der Autoindustrie.

Aus Ruinen wächst neues Leben

Doch Bethlehem weigerte sich, in der Vergangenheit zu verharren. Statt die alten Werke abzureißen, verwandelte die Stadt das Gelände in etwas Einzigartiges: SteelStacks – ein zehn Hektar großes Kulturzentrum, in dem Kunst, Musik und Festivals die Hallen und Ruinen wiederbeleben.

Ehemalige Arbeiter führen heute Besucher durch die Stätte. Die alte Güterbahn – einst genutzt, um Rohstoffe zu den Hochöfen zu bringen – wurde zu einem erhöhten Gehweg umgebaut, ähnlich der berühmten High Line in New York.

Teile der Anlage beherbergen nun das National Museum of Industrial History – ein Ort des Gedenkens und der Inspiration.

„Anstatt die Geschichte zu zerstören oder sie dem Verfall zu überlassen, hat sich die Gemeinschaft zusammengetan, um dem Stahl neues Leben einzuhauchen“, heißt es stolz von SteelStacks.

Heute stehen die rostenden Kolosse da – als stille Zeugen einer Zeit, als Amerika aus Feuer, Schweiß und Hoffnung gebaut wurde.

Wenn du das nächste Mal an einem alten Wolkenkratzer oder einer legendären Brücke in den USA vorbeikommst, denk daran: Vielleicht hält Bethlehem Steel auch dieses Monument zusammen.